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Frohe Weihnachten ...

In den Tagen vor Weihnachten überfällt mich regelmäßig eine sehr sentimentale Stimmung. Ich krame in Erinnerungen. Sowohl in meinem Kopf als auch in Schränken und Kartons. Diesmal hat es mir ein altes Buch besonders angetan. Eine wunderschön gestaltete Lizenzausgabe, ein Buch, wie aus uralter Zeit.

Meine Kinder haben es 1994 ihrer Großmutter, meiner Mutter, zu Weihnachten geschenkt.

Heute, 23 Jahre später, bin ich die Großmutter, und freue mich auf meine Enkelkinder und die Zeit mit ihnen unter dem Weihnachtsbaum.

Fast einen ganzen Nachmittag habe ich gestern in diesem Buch gelesen:

Theodor Storm, Christian Morgenstern, Clemens Brentano, Johann Wolfgang Goethe, und viele andere, die man nicht jeden Tag liest.

An der Geschichte

"Vom Mädchen mit den Schwefelhölzern"

von Hans Christian Andersen bin ich hängen geblieben.

Sie erzählt von einem kleinen Mädchen und seiner Großmutter. Eine Geschichte aus ferner Zeit, traurig, tiefgehend und doch feierlich.

Diese Geschichte kenne ich noch aus meiner Kindheit. Und ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen, nachdem ich sie gehört hatte, geweint habe.

Seit jener Zeit sind viele Jahre ins Land gegangen. Ich wurde erwachsen und bin alt geworden. Und unzählige Male habe ich mir das Weinen verkniffen. Warum eigentlich ? Das Lachen verkneift man sich ja auch nicht !

Gestern nun, nachdem ich in diesem Buch gelesen hatte, habe ich geheult. Geheult, wie ein kleines Kind. Die Geschichte vom kleinen Mädchen, das in der Kälte stirbt, war der Auslöser. Und dann kam eins zum anderen. Alles das, was mich bewegt, und was ich immer wieder zurück in die hinterste Ecke meines Kopfes geschoben hatte, durfte raus.

Heute fühle ich mich frisch sortiert. So, als ob man nach langer Zeit, seinen Kleiderschrank mal wieder aufgeräumt hat. Man schiebt dann sehr gerne die Tür auf, schaut rein, ist stolz und freut sich, wie schön es drinnen aussieht.

Nun kann Weihnachten kommen!

Ich wünsche Euch allen ein harmonisches und friedliches Weihnachtsfest, mit Lachen und Weinen, und Gefühlen, die man einfach zulassen sollte.

Eure Rita

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Es war ganz abscheulich kalt; es schneite, und es begann zu dunkeln und Abend zu werden; es war auch der letzte Abend im Jahr, der Altjahrsabend. In dieser Kälte und in dieser Dunkelheit ging ein kleines armes Mädchen mit bloßem Kopf und nackten Füßen die Straße entlang; ja, sie hatte allerdings Pantoffeln angehabt, als sie von Hause fortging; aber was nützte das schon! Die Pantoffeln waren sehr groß gewesen, ihre Mutter hatte sie zuletzt getragen, so groß waren sie, und die verlor die Kleine, als sie über die Straße eilte, weil zwei Wagen so schrecklich schnell vorbeifuhren; der eine Pantoffel war nicht zu finden, und mit dem anderen rannte ein Junge weg; er sagte, den könnte er als Wiege gebrauchen, wenn er selber Kinder bekäme.

Da ging nun das kleine Mädchen mit den nackten Füßen dahin, die rot und blau vor Kälte waren; in einer Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer, und ein Bund hielt sie in der Hand; den ganzen Tag über hatte ihr niemand etwas abgekauft; niemand hatte ihr einen kleinen Schilling geschenkt; hungrig und frierend ging sie weiter und sah ganz bedrückt aus, das arme kleine Ding! Die Schneeflocken fielen auf ihr langes blondes Haar, das sich so hübsch im Nacken lockte, aber an die Pracht dachte sie wahrlich nicht. Aus allen Fenstern glänzten die Lichter, und dann roch es auf der Straße so wunderbar nach Gänsebraten; es war ja Altjahrsabend, ja, daran musste sie denken.

Drüben in einem Winkel zwischen den Häusern – das eine ragte etwas weiter in die Straße vor als das andere – setzte sie sich hin und kauerte sich zusammen; die Beine hatte sie unter sich hochgezogen, aber sie fror noch mehr; und nach Hause getraute sie sich nicht, sie hatte ja keine Schwefelhölzer verkauft, nicht einen einzigen Schilling bekommen, ihr Vater schlug sie dann, und kalt war es auch zu Hause, sie hatten nur eben das Dach über sich, und da pfiff der Wind hindurch, obwohl die größten Ritzen mit Stroh und Lappen verstopft worden waren. Ihre kleinen Hände waren fast abgestorben vor Kälte. Ach! Ein Schwefelhölzchen würde gut tun. Dürfte sie nur eines aus dem Bund herausziehen, es an der Wand anreißen und die Finger daran wärmen. Sie zog eines heraus, „ritsch!“ wie das zischte, wie es brannte! Es war eine warme, helle Flamme, ganz wie ein Lichtchen, als sie die Hand darum legte; es war ein seltsames Licht! Dem kleinen Mädchen war es, als säße es vor einem großen, eisernen Ofen mit blanken Messingkugeln und einer Messingtrommel; das Feuer brannte ganz herrlich, wärmte so gut! Nein, was war das! – da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand – sie hatte einen kleinen Rest des ausgebrannten Schwefelholzes in der Hand.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und wo der Schein auf die Hauswand fiel, wurde diese durchsichtig wie ein Schleier; sie sah bis in die Stube hinein, wo der Tisch mit dem schimmernd weißen Tischtuch gedeckt stand, mit feinem Porzellan, und herrlich dampfte die gebratene Gans, mit Backpflaumen und Äpfeln gefüllt! Und was noch prächtiger war, die Gans hüpfte von der Platte, watschelte mit Gabel und Messer im Rücken durch das Zimmer; geradewegs zu dem armen Mädchen kam sie gelaufen; da erlosch das Schwefelholz, und nur die dicke , kalte Hauswand war zu sehen.

Sie zündete ein neues an. Da saß sie unter dem schönsten Weihnachtsbaum; der war noch größer und noch prächtiger geschmückt als der, den sie beim reichen Kaufmann jetzt zu Weihnachten gesehen hatte; tausend Kerzen brannten an den grünen Zweigen, und bunte Bilder wie die, welche die Ladenfenster schmückten, blickten zu ihr nieder. Die Kleine streckte beide Hände hoch – da erlosch das Schwefelholz; die vielen Weihnachtslieder stiegen immer höher empor, sie sah, es waren nur die hellen Sterne, einer davon fiel nieder und hinterließ einen langen Feuerstreif am Himmel.

„Nun stirbt jemand!“ sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die einzige, die gut zu ihr gewesen war, die jetzt aber tot war, hatte gesagt: Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott hinauf.

Sie strich abermals ein Schwefelholz an der Hauswand an, das leuchtete weithin, und in seinem Glanze stand die alte Großmutter, so hell, so leuchtend, so mild und segensreich.

„Großmutter!“ rief die Kleine. „Oh, nimm mich mit! Ich weiß, du bist fort, wenn das Schwefelholz ausgeht; fort, genau wie der warme Ofen, der wunderbare Gänsebraten und der große herrliche Weihnachtsbaum!“ – und sie strich geschwind den ganzen Rest der Schwefelhölzer an, der im Bund war; sie wollte die Großmutter ganz festhalten; und die Schwefelhölzer leuchteten mit solchem Glanz, dass es heller war als am lichten Tag. Großmutter war nie zuvor so schön gewesen, so groß; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und sie flogen in Glanz und Freude dahin, ganz hoch; und da gab es keine Kälte, keinen Hunger, keine Angst – sie waren bei Gott!

Aber in der Ecke am Haus saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit einem Lächeln um den Mund – tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging über dem kleinen Leichnam auf, der mit den Schwefelhölzern dasaß, von denen fast ein Bund abgebrannt war. Sie hat sich aufwärmen wollen, sagte man; niemand wusste, was sie Schönes gesehen hatte, in welchem Glanz sie mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war!

Hans Christian Andersen

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